Corona

Dem Coronavirus auf der Spur

13. Mai 2020
Am Wissenschafts-Standort Hamburg wird mit Hochdruck geforscht – zur Diagnostik sowie zu Wirk- und Impfstoffen

Weltweit wird in Instituten und Pharmaunternehmen an einer möglichst klugen Täuschung gearbeitet. Denn darum geht es letztlich bei Impfungen: Ein Impfstoff gaukelt dem Körper vor, er sei mit einem Erreger infiziert, um so das Immunsystem dazu zu bringen, Antikörper zur Abwehr zu entwickeln. Zur Erforschung eines Impfstoffs gegen den neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2), aber auch zur weltweiten Bereitstellung von Diagnostika und Behandlungsansätzen, hat Anfang Mai im Rahmen der Global Response-Initiative eine internationale Geberkonferenz stattgefunden. Regierungen von mehr als 40 Ländern sagten finanzielle Mittel von insgesamt 7,4 Milliarden Euro zu. 

Mit vereinten Kräften gegen den Virus

Deutschland beteiligt sich mit 525 Millionen Euro am Kampf gegen das Virus. „Um das Coronavirus zu besiegen, müssen wir weltweit mit vereinten Kräften an vielen Fronten kämpfen. Wir müssen einen Impfstoff entwickeln, herstellen und überall auf der Welt einsetzen. Und wir müssen ihn zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung stellen“, erklärt Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission. 

Hamburger Evotec-Konzern engagiert sich global

Tatsächlich tun sich zunehmend Unternehmen und Einrichtungen zusammen, um ihre fachliche Expertise möglichst effektiv zu bündeln. So engagiert sich etwa der in Hamburg gegründete und weltweit tätige Evotec-Konzern bei COVID R&D, einer globalen Crowdsourcing-Initiative mit dem Ziel, die Bereitstellung von Therapeutika und Impfstoffen gegen COVID-19 zu beschleunigen. „Im Rahmen dieser Initiative werden wir die Leitung der Arbeitsgruppe „pre-clinical repurposing“ übernehmen, um präklinische Ansätze aus dem Konsortium oder aus externen Quellen zu Wirkstoffen weiterzuentwickeln“, heißt es aus dem Unternehmen. Zudem ist Evotec Teil der Initiative Accelerating COVID-19 Therapeutic Interventions and Vaccines(ACTIV), einer vom US-amerikanischen National Institute of Health (NIH) geführten öffentlich-privaten Partnerschaft, die sich ebenfalls für die Priorisierung von Impf- und Wirkstoffentwicklung einsetzt und dazu etwa klinische Studien beschleunigen und Zulassungsprozesse koordinieren will, um auf zukünftige Pandemien schnell reagieren zu können. 

Bernhard-Nocht-Institut: Grundlagenforschung und Diagnostik

Ein Grundvoraussetzung, um reagieren zu können, ist eine zuverlässige Diagnostik. In Hamburg hat das renommierte Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM), Deutschlands größte Einrichtung für Forschung, Versorgung und Weiterbildung auf dem Gebiet tropentypischer Erkrankungen und neu auftretender Infektionskrankheiten, als erstes Labor in Hamburg eine entsprechende molekulare Diagnostik etabliert und in Kooperation mit dem Biotechnologie-Unternehmen Altona diagnostics einen zertifizierten Real-time-PCR-Kit zur Verfügung gestellt. „Inzwischen haben wir zudem ein eigenes Testverfahren entwickelt, mit dem sich Serumantikörper nachweisen lassen, so dass wir retrospektiv feststellen können, ob bereits eine Infektion vorgelegen hat“, erläutert Professor Egbert Tannich, Vorstandsvorsitzender des BNITM.

Wegbereitende Forschung zum SARS-Virus

Das BNITM verfügt über Laboratorien der höchsten biologischen Sicherheitsstufe (BSL-3, BSL-4), die es erlauben, auch hochpathogene Viren zu Forschungszwecken zu züchten. Bereits während der SARS-Epidemie im Jahr 2003 gelang hier den Virologen Professor Christian Drosten und Professor Stephan Günther die Identifizierung des bis dahin unbekannten SARS-Coronavirus und die Etablierung eines schnellen diagnostischen Testsystems. Für ihre Forschung wurden die Wissenschaftler seinerzeit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Aktuell wird in einem gemeinsamen Projekt, IVADAC, mit dem Fraunhofer IME ScreeningPort nach Wirkstoffen gegen SARS-CoV-2 auf Basis von In-vivo-Modellen geforscht. „Das heißt, wir forschen am lebenden Objekt indem wir Kleinnager mit einem menschlichen Immunsystem ausstatten, sie dann infizieren, um neu identifizierte IME-Wirkstoffe gegen SARS-CoV-2 bewerten zu können“, erläutert Professor Tannich. Ein weiterer Ansatz ist die Kooperation zwischen dem BNITM und dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) zur Durchführung klinischer Studien, um Patienten, die sich mit dem neuartigen Coronavirus infiziert haben, besser behandeln zu können. Eine Teilnahme an den Studien ist noch möglich.  

UKE: Vielfältige Forschungsansätze 

Am UKE forscht aktuell eine große Anzahl von Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachbereichen zum neuartigen Corona-Virus. „Mit ihrer Forschung tragen sie aktiv dazu bei, neue Erkenntnisse beispielsweise zur Genomik des Virus, seiner Wirkweise im Körper, dem Krankheitsverlauf und Behandlungsmöglichkeiten von COVID-19 oder zur Impfstoffentwicklung zu generieren. In den nächsten Monaten werden etliche weitere wissenschaftliche Publikationen erscheinen, deren Faktengrundlage dazu dient, die Corona-Situation richtig einzuschätzen und erfolgreich zu steuern“, erklärt Professorin Dr. Blanche Schwappach-Pignataro, Dekanin der Medizinischen Fakultät und Vorstandsmitglied des UKE.

Antikörpertest Corona

Studie zur Immunität der Hamburger Bevölkerung

Auch im Rahmen der Hamburg City Health Study (HCHS) liegt nun ein Fokus auf COVID-19. Konkret wird in einer breitangelegten Studie die Immunität der Hamburger Bevölkerung gegen den Erreger erforscht. Von April 2020 bis Dezember 2021 soll ein Überblick über die Entwicklung der "stillen" Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus, also die Infektionen ohne Symptome, sowie die "Durchseuchung" der Hamburger Bevölkerung entstehen. „Die Hamburg City Health Study ist die größte lokale Gesundheitsstudie der Welt. Sie bietet eine einzigartige Plattform, um am Beispiel einer streng repräsentativ ermittelten und in sämtlichen medizinischen und sozialen Details bekannten Kohorte wissenschaftliche Erkenntnisse rund um das neuartige Coronavirus gewinnen zu können“, erläutert Katharina Fegebank, Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung. „Wir haben mit der HCHS außerdem die Chance, die Entwicklung des Virus unter den Bedingungen einer Großstadt beobachten und binnen kurzer Zeit erste Erkenntnisse zu bekommen. Diese können für politische Entscheidungen von erheblicher Bedeutung sein.“

DESY: Kandidaten für Wirkstoffe identifizieren

Neben der Grundlagenforschung und der Entwicklung eines Impfstoffs wird aktuell mit Hochdruck an der Erprobung wirksamer Medikamente geforscht. So auch am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY. Dort hat ein Forschungsteam mit Hilfe der Röntgenlichtquelle PETRA III mehrere Kandidaten für mögliche Wirkstoffe gefunden, die an ein wichtiges Protein des Coronavirus binden und so eine Grundlage für ein Medikament gegen die Infektion sein könnten. Ein wesentlicher Ansatzpunkt für die Suche nach einem wirksamen Medikament gegen das Coronavirus ist es, seine Vermehrung im Körper des Wirts zu stoppen. „Viren können sich allein nicht vermehren. Sie kapern dazu Zellen ihres Wirts, schleusen ihr eigenes Erbgut in die Zellen ein und bringen diese so dazu, neue Viren herzustellen. Bei allen diesen Schritten spielen Proteine eine wichtige Rolle. Gelingt es, ein entscheidendes Protein zu blockieren, lässt sich die Vermehrung unter Umständen unterbrechen und die Infektion so besiegen“, heißt es in einer Meldung vom 23. April. 

PETRA III: Struktur von Proteinen atomgenau darstellen

Mit Hilfe von PETRA III lässt sich nun die dreidimensionale räumliche Struktur von Proteinen atomgenau darstellen. Das nutzte das Forscherteam, um mehrere tausend bereits für die Behandlung anderer Krankheiten vorgesehener Wirkstoffe darauf zu untersuchen, ob und wie sie an eines der für die Vermehrung des Virus verantwortlichen Schlüsselproteine andocken. „Mit Hilfe einer automatisierten Datenanalyse haben wir 13 Wirkstoffe identifizieren können, die eine Bindung mit den Proteinen eingehen“, sagt DESY-Forscher Alke Meents. Durch seine Forschungen hofft das Team, den Weg zu einem Medikament abzukürzen. Schließlich dauert die Entwicklung eines Medikaments aus einem neuen Wirkstoff bis zur Zulassung mehrere Jahre. Indem auf bereits zur Behandlung von Menschen zugelassene oder sich in der Erprobung befindliche Wirkstoff zurückgegriffen wird, könnten Monate oder gar Jahre gespart werden. An den Arbeiten sind Forscher der Universitäten Hamburg und Lübeck, des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie, des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin, des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie, der Max-Planck-Gesellschaft, des Helmholtz-Zentrums Berlin und von DESY beteiligt.

PETRA III Corona-Experiment

SARS-CoV-2 hat uns eine Pandemie beschert mit ungeheuren Auswirkungen, wie wir sie zuvor nur selten erlebt haben. Werden wir uns an solche Situationen gewöhnen müssen? „Es wird weitere neu auftretende Infektionskrankheiten geben, nur kann niemand voraussagen, wann sie kommen werden“, erklärt der BNITM-Vorstandsvorsitzende Professor Egbert Tannich. Es könne in drei oder fünf Jahren der Fall sein, oder aber auch in 20 oder 50 Jahren. „Und es können auch lokale Epidemien sein und nicht notwendigerweise eine Pandemie, aber entscheidend ist, dass wir vorbereitet sind.“ 
ys/kk

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