Der Einzelhandel in der City lebt wieder auf. Ein Business as usual bedeutet die gesteigerte Shopping-Lust jedoch keineswegs. Innenstadtlagen leiden schon lange unter der wachsenden Online-Konkurrenz, die Einkaufen ganz bequem per Klick vom Sofa aus erlaubt. Was gut für Online-Anbieter ist, hat ernste Folgen für den stationären Handel: Geschäfts-Schließungen führen zu Leerständen, die der Immobilienbranche zu schaffen machen und zu einer Verödung der Umgebung führen, was wiederum zu weiteren Schließungen führt. Um diesem Teufelskreis etwas entgegen zu setzen, plant Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier gemeinsam mit Vertretern der Branche im Herbst Konzepte zur Wiederbelebung der Innenstädte zu entwickeln. So soll es etwa Workshop-Reihen zu Themen wie „Kreative neu-Nutzung leerstehender Ladengeschäfte", „Innenstädte und Digitalisierung des Handels" oder „Rückholung kleiner Geschäfte und Manufakturen in die Innenstädte" geben.
Corona hat zu grundlegenden Veränderungen geführt – und zu der Frage: Wollen wir überhaupt ein Zurück zu den Strukturen, die sich verändert haben? Oder brauchen und wollen wir andere, ganz neue Strukturen? Hamburg News hat dazu mit Gesa Ziemer gesprochen. Die Professorin für Kulturtheorie an der HafenCity Universität Hamburg (HCU) und Direktorin des City Science Labs – einer Kooperation mit dem MIT Media Lab in Cambridge, USA, das die Veränderung von Städten im Kontext der Digitalisierung erforscht – ist überzeugt, die Erfahrungen im Lockdown erleichtern das Umdenken hin zu einer lebendigeren Innenstadt, einer echten Work-Life-Balance, nachhaltiger Mobilität und besserem Klima.
Zukunft des stationären Handels
Die Innenstadt kann so viel mehr sein als ein bloßer Konsumraum
Für Hamburg ist das Thema besonders aktuell. Mit der geplanten Schließung von Karstadt Sport und Galeria Kaufhof in der Mönckebergstraße verliert Hamburgs bekannte Einkaufsstraße zwei Anker-Mieter mit großer Strahlkraft. Für Gesa Ziemer liegt das Problem in der Fokussierung auf „Einkauf“. „Wir haben die City bisher zu monofunktional konzipiert. Die Innenstadt kann so viel mehr sein als ein bloßer Konsumraum.“ Die Professorin, deren Forschungsschwerpunkte auf der Digitalisierung der Städte, urbanen Öffentlichkeiten und kollektiven Arbeitsformen liegen, wünscht sich eine stärkere Durchmischung des Stadtkerns aus Arbeit, Wohnen, Schule, Sport, Kultur und Grünflächen. „Wir brauchen Licht, Menschen und Leben, auch abends. Die großen Gebäude sollten gemischte Nutzungen beherbergen, auch innovative Wohnformen wie generationenübergreifendes, inklusives oder interkulturelles Wohnen könnte hier geplant werden. Denn auch das hat uns Corona gezeigt. Die verwaisten Straßen und Plätze hatten etwas gespenstisches.“
Ideen zur Belebung der Innenstadt
Ein Ansatz: Erdgeschosse lebendiger gestalten. „Hochschulen oder kulturelle Einrichtungen, wie Galerien, könnten die Schaufenster nutzen und zur Interaktivität einladen. Die Preisstruktur für Vermietung ist dabei natürlich ein wesentlicher Faktor“, weiß Ziemer. Die Preise müssten dynamischer gestaltet werden, um bislang teure 1-A-Lagen neuen Zielgruppen zugänglich zu machen. „Denkbar sind auch kombinierte Raum-Nutzungen. Coworking Räume sind sinnvoll, sowie morgens Sportangebote, ab mittags ein gastronomisches Angebot oder Kurse für Kinder. Oder tagsüber Yoga, abends Tanzen – beides lässt sich in einer coolen Club-Atmosphäre denken. Und wir können Städte wie Singapur oder Zürich zum Vorbild nehmen, dort gibt es schöne Pools auf innerstädtischen Dächern zum Schwimmen.“ Auch Orte für Startups in prominenter Innenstadtlage kann Ziemer sich vorstellen, ebenso wie innovative Ausstellungsorte. „In Hamburg gab und gibt es interessante Überlegungen zu Wissensorten in zentraler Lage. Ob das Science Center, das in der HafenCity geplant war, oder das Haus der Digitalen Welt, das mit der Zentralbibliothek oder der Volkshochschule zusammen konzipiert wird: Offene, für Bürger attraktive Einrichtungen könnten sicher zur Belebung der Innenstadt beitragen“, ist Ziemer überzeugt. „Der Umbau von Kaufhäusern ist allerdings baulich anspruchsvoll, weil die Gebäude meist wenig Licht haben. Aber kleinere Städte in Deutschland haben gute Kaufhausumnutzungen schon vorgemacht.“
Größere Verkehrsgerechtigkeit für alle
Eine Steigerung der Innenstadt-Attraktivität erwartet Ziemer auch durch die Reduktion des Individualverkehrs. Erste Ansätze, wie den Jungfernstieg ab Oktober weitgehend autofrei zu gestalten, begrüßt die Professorin denn auch vehement. „Das finde ich fantastisch. Ohne Autokolonnen lässt sich die Alster viel intensiver wahrnehmen, die Atmosphäre ist ruhiger und entspannter. Und Pilotprojekte wie Altstadt für alle oder Ottensen macht Platz haben gute Ergebnisse erbracht.“ Auch das konsequente Einführen von Anwohnerpark-Zonen in den Quartieren befürwortet sie. Allerdings müssten Lösungen für einen funktionierenden Lieferverkehr oder den Bedarf an Parkplätzen für Mitarbeiter etwa von Pflegeeinrichtungen gefunden werden. „Wichtig ist eine größere Verkehrsgerechtigkeit, die allen Verkehrsteilnehmern gleichermaßen gerecht wird und nicht den Autoverkehr bevorzugt. Erste Versuche der Einrichtung von Pop-Up-Radwegen wurden in Hamburg positiv aufgenommen“, so Ziemer. Neben dem Ausbau der Rad-Infrastruktur gehöre dazu die Änderung von Ampelphasen, die auch langsamen Fußgängern die Überquerung einer Straße bei grün erlaube.
Homeoffice mit Folgen
Eine weitere Folge von Corona: Unternehmen und Arbeitnehmer haben intensive Erfahrungen mit dem Homeoffice gemacht – und wollen daran festhalten. Knapp über die Hälfte (54 Prozent) der Unternehmen in Deutschland wollen Homeoffice dauerhaft stärker etablieren, hat eine Studie des ifo Instituts ergeben. Und laut einer Greenpeace-Studie könnte zudem deutlich CO2 eingespart werden. Um 5,4 Millionen Tonnen pro Jahr kann der CO2-Ausstoß im Verkehr sinken, wenn 40 Prozent der Arbeitnehmer dauerhaft an zwei Tagen pro Woche von zuhause arbeiten, heißt es in der Erhebung, die vom Berliner Institut IZT durchgeführt wurde. „Und wir sparen Büroraum“, betont Ziemer. „Schon jetzt beginnen Unternehmen Flächen abzustoßen. Die Nutzung der freiwerdenden Fläche kann neu gedacht werden. Das wiederum bietet Chancen, die bisherige Trennung von Arbeit und Wohnung flexibler zu gestalten.“
In vernetzten Regionen denken!
Allerdings hat die plötzliche Zusammenführung von Arbeit und Wohnen im Lockdown nicht überall gut funktioniert. „Wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern. Das betrifft sowohl eine funktionierende Internet- und Dateninfrastruktur als auch räumliche Strukturen.“ Dazu müsse in der Architektur flexibler gedacht werden. „Mit beweglichen Wänden, Coworking-Gemeinschaftsräumen und vor allem mit Zugang zu Grünflächen“ – wobei Ziemer darunter durchaus auch Balkone versteht. Und die Professorin sagt: „Wenn wir dank Homeoffice nicht mehr täglich in die Stadt pendeln müssen, gewinnt ländliches Wohnen an Attraktivität. Das kann zu einer Entzerrung der wachsender Städte und einer kulturellen Durchmischung von Stadt und Land führen. Wir sollten eher in vernetzten Regionen denken.“
Funktionierende Nachbarschaft und soziale Kreativität
Aktuell schreitet die Urbanisierung weltweit voran. Laut der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) leben schon heute mehr als die Hälfte aller Menschen in Städten, im Jahr 2050 sollen es bereits zwei Drittel sein. Auch die Hamburger Bevölkerung wächst. Die Voraussetzungen für den nötigen Wohnraum schafft das Bündnis für das Wohnen, das den Weg ebnen soll für 10.000 neue Wohnungen pro Jahr. 2019 konnten erstmals bereits 9.805 neue Wohnungen fertiggestellt werden. Die so entstehende Verdichtung muss allerdings mit einer Sicherung der urbanen Wohnqualität einhergehen. „Gerade in der Hochphase der Pandemie haben wir erlebt, wie wichtig eine funktionierende Nachbarschaft und soziale Kreativität ist. Und Balkon-Konzerte oder gegenseitige Unterstützung beim Einkaufen haben gezeigt, wie einfach sich ein gutes Miteinander im Grunde realisieren lässt.
ys/kk