Bei der Entwicklung von künstlichen, neuronalen Netzen, einem Teilgebiet der KI, wurde ursprünglich versucht, das Gehirn in Teilen nachzuahmen. „Davon sind wir weit entfernt. Künstliche neuronale Netze haben tatsächlich auch heute noch nichts mit unseren Gehirnen gemeinsam. Doch darum sprechen wir überhaupt von künstlicher Intelligenz“, erklärt Tiedemann. „Was wir allerdings geschafft haben, ist ausgesprochen intelligentes Verhalten zu erzeugen“, ergänzt er. Selbstlernende Algorithmen übertreffen inzwischen Menschen in Geschwindigkeit und Genauigkeit bei der Analyse großer Datenmengen.
Künstliche Intelligenz (KI) ist eine Zukunftstechnologie, an der bereits seit den 50er-Jahren gearbeitet wird. Nun aber erlauben rasant wachsende Rechnerleistungen zunehmend mehr Einsatzmöglichkeiten. Eine starke KI, deren Leistungen die menschliche Intelligenz deutlich übertrifft, könnte möglicherweise Mitte dieses Jahrhunderts Wirklichkeit werden – hundert Jahre nachdem der britische Mathematiker Alan Turing mit dem Turing-Test eine erste Definition für künstliche Intelligenz entwickelt hat. Noch allerdings sprechen wir von schwacher KI – und die ist tatsächlich gar nicht so intelligent. Allerdings ausgesprochen effizient. Denn schwache KI bietet Lösungen für ganz bestimmte Anwendungsgebiete und kann darin deutlich besser sein als der Mensch. Tim Tiedemann, Professor für Intelligente Sensorik vom Department Informatik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) berichtet, was heute und in Kürze möglich sein wird.
KI und das menschliche Gehirn
KI und autonomes Fahren
Ein vielversprechendes Einsatzfeld: Autonomes Fahren. Kameras und Sensoren registrieren die Umgebung, KI wertet die Daten aus – oft Pixel für Pixel. Und weil KI oft Pixel für Pixel zu einem Ergebnis kommt, kann das System durch die Veränderung einzelner Pixel relativ leicht überlistet werden, weiß der Professor. „Anders als Menschen, die beispielsweise das Konzept von Verkehrsschildern lernen, basiert KI auf einfachen mathematischen Regeln, die quasi farbige Pixel zählt und daraufhin zum Ergebnis ‚Stoppschild‘ kommt. Oder aber ein Vorfahrtsschild identifiziert“, weiß Tiedemann. Selbst kleine Aufkleber auf Verkehrsschildern können somit zu Fehlinterpretationen führen.
KI in sicherheitsrelevanten Bereichen
Tiedemann forscht deshalb daran, KI-Systeme so robust wie möglich zu gestalten. „Sobald eine Schwachstelle erkannt ist, lässt sich eine passende Lösung entwickeln“, betont der Professor. Im Fall der Verkehrsschilder könnte ein intensiviertes Training zur Erkennung der Schilder ein Ansatz sein, um zu verhindern, dass die KI sich täuschen lässt. Und in sicherheitsrelevanten Bereichen könnten zwei getrennte KI-Systeme zum Einsatz kommen: Das erste übernimmt die eigentliche KI-Leistung, das zweite analysiert daraufhin das erste System und überprüft es auf Anomalien – etwa einen möglichen Angriff. Die Problemlösung bereitet Tiedemann somit im Grunde kein Kopfzerbrechen.
Forschungsfeld: Zukunft der vernetzten Mobilität
„Das eigentliche Problem ist vielmehr: Wir wissen nicht, was wir nicht wissen!“ Um also mehr Wissen darüber zu generieren, was autonome Systeme bereits beherrschen und wo sich mögliche Schwach- oder gar Angriffsstellen befinden, seien im Falle des autonomen Fahrens noch viele, viele Testfahrten notwendig, so der Professor. An zusätzlichen Alternativen forschen Tiedemann und seine Kollegen etwa im autosys-Labor, kurz für „Autonome Systeme“. Die Wissenschaftler*innen fangen dabei ganz klein an: Mit Hilfe von Miniaturfahrzeugen werden Simulationen für die Zukunft der vernetzten Mobilität durchgeführt. Auch eine Kooperation mit dem Miniatur Wunderland gibt es, um Sensoren und KI in einer dynamischen und möglichst realistischen Umgebung zu testen. „Wenn hier eins unserer Autos – wir testen auch Boote und Lufttaxis – an die Wand fährt, macht das nichts.“
Je nach Einsatzfeld: Mehr oder weniger Intelligenz?
Für ein weiteres Projekt, TIQ (Testfeld Intelligente Quartiersmobilität), entwickeln Tiedemann und das Team gerade spezielle Sensorsysteme. Im direktem Umfeld des HAW-Campus am Berliner Tor, im Lohmühlen Park, sollen Daten erhoben werden, um den Mobilitätsbedarf in verkehrsberuhigten Stadtquartieren zu ermitteln. Zudem werden Assistenzsysteme für Fahrradfahrer*innen und Blinde sowie autonom fahrende Systeme getestet. Damit gehört das Projekt zu den 42 Ankerprojekten des ITS-Weltkongress 2021. Bei der Datenerhebung liegt nun ein besonderer Fokus auf der Privatsphäre der Mobilitätsteilnehmer*innen. Tiedemann setzt darum auf möglichst einfache Sensoren. „Die Idee dahinter: Die Sensoren sollen gerade gut genug sein, um Verkehrsteilnehmer zu unterscheiden, nicht jedoch so gut, dass sie deren Identität erkennen können.“
Üblicherweise werden intelligente Sensoren oder Kameras eingesetzt und durch eine nachgeschaltete KI ‚unschädlich‘ gemacht. „Doch was, wenn ein Fehler passiert oder ein Hack?“, fragt Tiedemann. Durch den Einsatz ‚einfacher‘ Sensoren seien die Daten absolut sicher – denn auch die klügste KI könne aus den einfachen, groben Daten nicht auf Individuen schließen. Einfach ist offenbar manchmal schlicht das Klügste.
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