Die automatische Auswertung und Quantifizierung von Bilddaten, speziell von MRT-Bilddaten für Patienten mit Multiple Sklerose (MS), ist aktuell die Hauptapplikation, die jung diagnostics als Dienstleistung für radiologische Einrichtungen anbietet. „Ziel ist es, den Arzt dabei zu unterstützen die optimale Therapie zu identifizieren“, erläutert Opfer. Obwohl MS nicht heilbar ist, gibt es doch eine Reihe hochwirksamer Substanzen, die den Krankheitsverlauf deutlich verlangsamen können. Allerdings wird MS auch die ‘Krankheit mit den 1.000 Gesichtern’ genannt – der Krankheitsverlauf ist bei jedem Patienten ein anderer. Die MRT-Bilder geben Auskunft darüber, ob und wie gut ein Präparat anschlägt. „Bei MS handelt es sich um entzündliche Prozesse des zentralen Nervensystems, die im MRT als Läsionen erkennbar sind. Zudem nimmt das Hirnvolumen ab. Die Algorithmen messen das Hirnvolumen und detektieren und vermessen die Läsionen. Durch den Vergleich mit früheren Aufnahmen sowie Bildern gesunder Menschen, lässt sich nachvollziehen, ob die Therapie erfolgreich ist oder ein anderes Mittel ausprobiert werden muss“, erklärt der promovierte Mathematiker.
In der Regel besteht ein Kopf-MRT aus vier 3D-Datensätzen à 200 Schichten. „Das heißt, nach einer Magnetresonanztomografie hätte ein Radiologe 800 Bilder, die er für einen einzigen Patienten konzentriert begutachten müsste. Das ist im Klinikalltag nicht zu leisten“, weiß Dr. Roland Opfer, Leiter des 6-köpfigen Teams, das bei der Hamburger jung diagnostics GmbH Algorithmen zur Auswertung von Bilddaten entwickelt. Algorithmen – eine Folge von Anweisungen, durch die bestimmte Aufgaben gelöst werden – brauchen für eine solche Auswertung etwa eine halbe Stunde und ‘arbeiten’ mit gleichbleibender Genauigkeit. Doch egal, wie sicher das automatische Resultat ist, „immer kontrolliert anschließend noch ein Mensch das Ergebnis“, betont der 43-Jährige. Nach dem Auftaktartikel Die Debatte, ist dies der zweite Beitrag im Rahmen der Hamburg News-Serie: Künstliche Intelligenz.
Individuelle Therapie dank Algorithmen
KI wird Mediziner nicht ersetzen
Die Radiologie eignet sich besonders gut für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), weil es sich hier um eine stark datengetriebene Disziplin handelt und eine große Menge an Daten die Voraussetzung für selbstlernende Algorithmen ist. Dass KI in absehbarer Zeit Mediziner ersetzen wird, erwartet Opfer nicht. „Wir kommen gerade erst in ein KI-Stadium, das menschliche Fähigkeiten erreicht.“ Zwar können Algorithmen eine Reihe von Aufgaben schneller und mit hoher Genauigkeit erledigen, doch da das ‘Training’ der Algorithmen nach menschlichen Vorgaben erfolgt, sind die Maschinen auch im Zuge von Deep Learning – einer Lernmethode, die vom Lernen des menschlichen Gehirns inspiriert ist – am Ende nicht schlauer als Menschen. „Aber sie nehmen den Medizinern ein Stück Arbeit ab. Das spart Zeit, die sie woanders sinnvoller einsetzen können“, betont Opfer den Vorteil des KI-Einsatzes. Dies scheint auch im Sinne der Patienten zu sein, wie eine repräsentative Studie des Digitalverbands Bitkom belegt: Demnach wollen 68 Prozent der Deutschen, dass KI verstärkt in der Medizin eingesetzt wird, um den Arzt bei der Diagnose und der Auswahl der bestmöglichen Therapie zu unterstützen.
Philips stark in der KI-Forschung engagiert
jung diagnostics hat seinen Sitz im Health Innovation Port (HIP) auf dem Philips Campus in Hamburg. Sowohl Opfer wie auch Unternehmensgründer Dr. Lothar Spies haben zuvor lange Jahre in der Philips-Forschung gearbeitet. Der Medizinproduktehersteller ist stark in der KI-Forschung engagiert. 60 Prozent des jährlichen Etats von 1,7 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung fließen bei Philips in die Entwicklung von Software und in die Datenwissenschaft. „Im klinischen Alltag ist es fast unmöglich, immer alle relevanten Informationen abzurufen, zu interpretieren und schnell und sicher die richtigen Entscheidungen abzuleiten. Künstliche Intelligenz kann im Gesundheitswesen dabei helfen, große Datenmengen in handlungsrelevante Informationen zu übersetzen“, betont Dr. Timo Paulus, Director Innovation and Business Development DACH bei Philips.
ys/sb