Auf dem rund 37 Fußballfelder großen Campus tummeln sich beizeiten 6.000 bis 7.000 Mitarbeiter, wovon mitunter ein Teil zur Otto Group und zu den anderen Unternehmen des Otto-Konzerns gehört. Das Gelände hat sogar eine eigene Postleitzahl. Für das Traditionsunternehmen ist der Einfluss der neuen Arbeitswelt deutlich spürbar. Und es hat darauf seine ganz eigene Antwort entwickelt – die Initiative „Future Work“. Sie wird von Irene Heshmati geleitet: „Lebensumfelder verändern sich, künstliche Intelligenz erhält immer mehr Einzug und löst routinierte Arbeitsabläufe nach und nach ab. Einerseits stellen Arbeitnehmer nun andere Anforderungen an ihren Arbeitsplatz, die -umgebung und die Technik. Andererseits gestalten sich die Ansprüche und Erwartungshaltungen des Arbeitgebers immer komplexer. Daraus entwickeln sich andere Arbeitsweisen, -orte und Methoden. Diesen Entwicklungsprozess will Future Work strukturieren, um das Unternehmen Otto als Einheit mitzunehmen.“
Food Trucks und Fahrräder, beschreibbare Wände, schalldämpfender Teppich, gedeckte Farben, indirektes Licht, Social-Spaces – beim Gang über den Campus und durch die Räumlichkeiten der Otto GmbH & Co. KG in Hamburg-Bramfeld spüren wir vor allem eines: Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Das bestätigt auch Stefanie Hirte, Bereichsleiterin Personalentwicklung und -marketing. Sie ist seit 25 Jahren bei dem E-Commerce-Unternehmen tätig. Die Hamburg News haben im Rahmen der Reihe ‚New Work’ einen Blick hinter die Kulissen des Versandhauses geworfen.
Taskforce „Future Work“ strukturiert die neue Arbeitswelt
Der Mensch im Fokus
Hierbei steht laut Heshmati der Mensch im Mittelpunkt – frei nach der Philosophie „choice of freedom and access“. „Wir wollen unsere Mitarbeiter dahingehend begleiten, dass sie arbeiten können, wann und wo sie wollen“, führt die Future-Work-Leiterin aus. Der Arbeitspsychologe Dr. Max Neufeind ergänzt: „In der Arbeitswelt der Zukunft spielt das Thema Vertrauen eine zentrale Rolle. Produktivitätsgewinne, die neue Technologien versprechen, werden nicht zu realisieren sein, wenn die Beschäftigten nicht beteiligt werden. Ein gewisses Vertrauen in die Veränderung herzustellen, ist nicht nur sozial, sondern auch ökonomisch und wirtschaftlich elementar.“
Teams arbeiten crossfunktional
Das Future-Work-Kernteam besteht aus sechs Personen, die seit dem 1. November interdisziplinärzusammenarbeiten. Hier trifft das Flächenmanagement auf die Unternehmenskommunikation und auf den IT-Spezialisten. Crossfunktionale Teams wie dieses sind bei Otto mittlerweile gang und gäbe. „Führungskräfte müssen lernen, dass sie ihre Mitarbeiter nicht von morgens bis abends im Büro sitzen haben. Deshalb haben wir 2015 die strategische Initiative ‚Führung und Zusammenarbeit’aufgesetzt und nehmen unsere Führungskräfte seitdem mit auf die Reise. Nun überlassen wir unseren Mitarbeitern nicht nur die Verantwortung für die inhaltliche Arbeit, sondern auch die freie Entscheidung darüber, wo und wie sie arbeiten. Auch Führungskräfte müssen sich auf diese neue Welt einlassen und diese fördern“, so Stefanie Hirte..
Kulturwandel bringt vier zentrale Werte mit sich
Ein elementares Thema ist der Kulturwandel, der aus der Arbeitswelt 4.0 entspringt. Demnach haben das formale Protokoll und die klassische Meetingkultur ausgedient. „Technische Tools verändern die Art und Weise unserer Zusammenarbeit. Wir schicken uns z. B. Sprachnachrichten, fotografieren unsere Skizzen ab und pflegen seit 2016 eine ausgeprägte Duz-Kultur. Die formalen Grenzen lösen sich auf“, führt Heshmati aus. Jenseits von bereits etablierten Maßstäben, wurden neue Werte entwickelt, die dem Kulturwandel Tribut zollen und das Unternehmen innovativer gestalten sollen.
Feedback und Freiräume
Mit Raumkonzepten, neuen Kommunikationsmöglichkeiten und weniger Formalitäten soll eine Atmosphäre geschaffen werden, in der sich Mitarbeiter trauen nachzufragen und direktes Feedback zu geben. Die Werte Transparenz und Vernetzung sollen Entscheidungen nachvollziehbarer machen und das Bereichs- und Silo-Denken aufbrechen. Einmal im Monat kommt der Vorstand im Foyer zusammen und erzählt im Beisein der Mitarbeiter, welche aktuellen Entwicklungen es gibt. Rückfragen sind nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Eine wichtige Rolle spielt zudem das Feedback untereinander. So begegnen sich Führungskräfte und Mitarbeiter dank eines Feedback-Tools auf Augenhöhe, da stets beide Seiten nach den gleichen Kriterien beurteilen müssen.
Weg von Nine-to-five – hin zum eigenen Rhythmus
Freiräume sollen vor allem durch mobiles Arbeiten geschaffen werden. So sind alle Mitarbeiter mit einem Laptop ausgestattet.
„Bereits seit 16 Jahren mache ich montags Homeoffice“, berichtet Hirte. „Wir wollen das Thema mobiles Arbeiten massiv fördern. Dabei wollen wir weg von der Nine-to-five-Denke. Unsere Mitarbeiter sollen ihre Arbeitszeit nach ihrem eigenen Bio- und Kreativitätsrhythmus gestalten.“ Hierfür hat Otto direkt vor Ort vielfältige Möglichkeiten geschaffen.
Co-Working-Spaces auf dem Otto-Campus
Im Januar 2017 eröffnete Otto einen eigenen Co-Working-Space. In einem ehemaligen Vertriebsgebäude wurde eine gesamte Etage renoviert, um auf 1.700 Quadratmetern Platz für acht Freiräume zu schaffen. Rund 200 Mitarbeiter finden an flexiblen Tischen, in Sofaecken, im Stillarbeitsbereich oder in der Arena Platz. Zudem gibt es eine Schaukel und ein kostenloses Tee-, Wasser- und Kaffeeangebot. Mit dem im Frühjahr 2017 eröffneten Boulevard hat Otto sogar Arbeitsplätze unter freiem Himmel geschaffen – mit wasserfesten Steckdosen.
Wo früher Lkws verkehrten, wurden vielfältige Grünflächen angelegt, kleine Wasserfontänen mit Lichtspiel installiert und rustikale Sitzgelegenheiten aufgestellt. Im Sommer stehen Food Trucks bereit, im Winter gibt es auf dem Boulevard einen eigenen Weihnachtsmarkt. Dabei tritt Otto stets nachhaltig auf: Es wurde sogar ein Bienenschwarm auf dem Campus angesiedelt.
Das Wir-Gefühl stärken
Die Leiterin des Future-Work-Teams hat ein klares Ziel für 2018: „Wir wollen im kommenden Jahr das Wir-Gefühl weiter stärken, um das Bereichs- und Silodenken endgültig aufzubrechen. Schließlich arbeiten wir gemeinsam auf ein Ziel hin, das vereint uns – und nicht der Status, die Hierarchie oder die Zugehörigkeit zu einem Bereich.“ Die Auszubildenden scheinen diesen Vorsatz bereits zu leben. Sie beschreiben ihr Wirken bei Otto als „Arbeiten unter Freunden“.
sb/kk