Tatsächlich hat Wrage die Flugwindenergieanlage als vollautomatisches System entwickelt, das 24/7 betrieben werden kann. „Eine weitere wichtige Komponente ist das Kunststoffseil“, erklärt der Gründer. Dabei handelt es sich um eine sehr feste, aber auch sehr leichte Kunststofffaser. „Sie ist zehn Mal leichter als Stahl, aber genauso stark.“ Das ganze System ist containerisiert und damit mobil. Beim Start wird der gefaltete Drachen vom Start- und Landemast aus dem Container gehoben und entfaltet sich erst in ausreichender Höhe auf seine vollständige Größe. „Unser Drachen ist 120 bis 240 Quadratmeter groß, je nach Standort und der vorherrschenden Windstärke“, so Wrage.
Der Drachen steigt hoch hinauf. Bis zu einer Höhe von etwa 750 Meter kann es gehen, wo die Winde am stärksten sind und konstant wehen. Dabei fliegt der sogenannte Kite eine Reihe von Achterschleifen, um seine Flugkraft zu maximieren. Sind 800 Meter Seil ausgerollt, kommt der Drachen im Sturzflug zurück, bevor es in den nächsten Steigflug geht. „Ein wenig wie ein Jo-Jo“, beschreibt Stephan Wrage, Gründer der SkySails Power GmbH, die Windernte seiner Flugwindenergieanlage. Die Zugkraft des Seils treibt einen Generator an und erzeugt Strom. Um das Seil wieder einzuholen, wird die gerade gewonnene Energie genutzt – wobei dafür nur ein Bruchteil des grünen Stroms benötigt wird. Gesteuert wird der gesamte Vorgang von einem Flugroboter. „Der hängt in einem Kasten unter dem Drachen – ganz wie der Pilot unter einem Gleitschirm. Das System steuert die gesamte Flugwindenergieanlage autonom und sorgt dabei für einen energieoptimierten Flug.“ Die Entwicklung dieses speziellen Flugroboters sei ein wesentlicher Schritt hin zur Digitalisierung der Windenergie, ist der Wirtschaftsingenieur überzeugt, der bereits Erfahrung mit Zugdrachen als Unterstützung für Schiffsmotoren gesammelt hat.
Größe des Drachens: 120 bis 240 Quadratmeter
Realbetrieb auf Mauritius
Ein 240 Quadratmeter großer Drachen, der 24/7 „Wind erntet" – gerät der nicht in Konflikt mit anderen Luftraumnutzer:innen? „Tatsächlich ist der deutsche Luftraum stark frequentiert. Wenn wir da 750 Meter hochsteigen, werden wir zu einem Hindernis“, bestätigt Wrage. Zum Vergleich: Herkömmliche Windenergieanlagen sind in der Regel zwischen 150 bis 200 Meter hoch. Ein Einsatz in einem knappen Kilometer Höhe erfordere deshalb eine entsprechende Planung und Koordination mit anderen Luftraumteilnehmer:innen. Doch das ist ohnehin noch Zukunftsmusik. Aktuell konzentriert sich SkySails vorwiegend auf Inselregionen wie Taiwan, die Philippinen, Französisch-Polynesien oder Mauritius, wo das Unternehmen im vergangenen Jahr ein System in Betrieb nahm. „Die Erfahrungen aus dem Realbetrieb fließen umgehend in die Weiterentwicklung“, betont Wrage. Aktuell erzeuge die SkySails-Flugwindenergieanlage 400 Megawatt-Stunden pro Jahr. „Damit können wir – je nach Region – 200 bis 400 Haushalte versorgen. Unser Ziel ist die Verdoppelung dieser Leistung durch die weitere Verbesserung von Steuerung und Drachen.“
Funktionieren der Anlage durch Gutachten attestiert
Ein durchaus realistisches Ziel. So hat ein Gutachten der Windtest Grevenbroich GmbH durch Testierung der Leistungskurve das Funktionieren der Anlage im März attestiert. „Wir haben ein stabiles Höhenwindenergiesystem, das reproduzierbare Ergebnisse erzielt und sind stolz, die erste weltweit verifizierte und auditierte Windleistungskurve bestätigt bekommen zu haben“, so Wrage. Begutachtet wurde die SkySails-Flugwindenergieanlage im schleswig-holsteinischen Klixbüll (Metropolregion Hamburg), wo die Höhenwindenergietechnologie bereits zwischen 2019 bis 2022 im Rahmen des Verbundprojekts SkyPower100 ihre Relevanz unter Beweis stellte. Ziel des damaligen Testbetriebs war die Validierung von Einsatzbedingungen, Energieproduktion und Wirtschaftlichkeit bei einem autonomen Langzeitbetrieb. Partner waren neben Skysails, EnBW, Omexom und die Leibniz Universität Hannover. Projektträger war das Forschungsinstitut Jülich, gefördert wurde das Projekt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
4.000 potenzielle Standorte in Deutschland
Denn Deutschland hat durchaus Interesse an der Nutzbarmachung von Höhenwindenergie. So wurde Ende April „Windkraft an Land“ in die neue Fassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes aufgenommen. Wird also der SkySails-Kite bald überall in Deutschland in die Luft steigen? „Wir haben tatsächlich über 4.000 potenzielle Standorte in Deutschland ausgemacht und 90 Prozent dieser Standorte sind für klassische Windräder ungeeignet.“ Doch bevor sich Wrage um diese Standorte kümmert, müsse das System erst noch wachsen. „In Deutschland ist der Strombedarf groß, und es werden entsprechend große Anlagen benötigt – die wir auch entwickeln werden.“ Doch auch bevor die SkySails-Anlagen voll ausgewachsen sind, können sie einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten, ist Wrage überzeugt. „Im Mix liegt die Zukunft. Denn für uns alle gilt: Klimaneutralität – so schnell es nur geht.“
ys/mm