Startups

Tierversuche bald überflüssig? Mo:re baut Mini-Organe

27. Juni 2024
Wie ein Hamburger Startup das kommerzielle Potenzial automatisierter Zellkulturen nutzt

Das Hamburger Biotech-Startup Mo:re tritt an, Medikamentenentwicklung schneller, wirtschaftlicher und sicherer zu machen – und das ganz ohne Tierversuche. „Wir entwickeln einen Laborroboter, der Mini-Organe baut“, erklärt Mitgründer Lukas Gaats. „Im Anschluss kommt eine künstliche Intelligenz zur Validierung zum Einsatz. Sie unterstützt etwa die Genanalyse und stellt sicher, dass sich unsere Mini-Organe optimal entwickeln.“ Im Oktober überzeugte dieser Ansatz die Gründergeist-Jury. Mo:re belegte den ersten Platz des Startup-Wettbewerbs der Wirtschaftsjunioren Hamburg, der mit 10.000 Euro dotiert ist. An den künstlich gewachsenen Mini-Organen werden Wirkstoffe für neue Medikamente getestet, ohne, dass dafür auch nur eine einzige Labormaus ihr Leben lassen muss. Grundlage sind Stammzellen, aus denen sich alle gewünschten Organe entwickeln können. „Aktuell konzentrieren wir uns auf Herz, Leber und das Gehirn“, berichtet Gaats. „Unser Herz hat die Größe eines Sesamkerns, aber alle Eigenschaften einer Maus. Und bereits ein paar Tage nach dem ‚Ansetzen‘ unseres Herzens, pulsiert das Organ von ganz allein.“ 

Das Ziel: personalisierte Medizin

Mit ‚Ansetzen‘ ist die richtige Kombination von Zellen gemeint, in der auch das jeweilige Krankheitsbild angelegt ist, für das ein neues Medikament entwickelt werden soll. Stammt die Ausgangszelle direkt von einem Patienten, weist das Mini-Organ die individuellen Eigenschaften dieses Menschen auf. „Das ermöglicht die Entwicklung maßgeschneiderter Therapien und bringt uns dem Ziel personalisierter Medizin einen großen Schritt näher“, betont Gaats. Und die Mini-Organe können den komplexen und langwierigen Prozess der Medikamentenzulassung unterstützen. Der Gründer nennt als Beispiel die Entwicklung einer neuen Parkinson-Therapie: „An unserem Mini-Organ kann die Vorstufe für klinische Studien vollzogen werden. Bevor das Medikament an menschlichen Probanden getestet werden kann, muss die grundlegende Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit bewiesen sein. Zudem muss nachgewiesen werden, dass gravierende Nebenwirkungen ausgeschlossen sind.“ Im Rahmen dieses Zulassungsprozesses sind in Deutschland in der Regel Tierversuche vorgeschrieben. Laut Statista waren es 2022 in Deutschland rund 1,73 Millionen Tiere, an denen Tierversuche vorgenommen wurden.

Labor von Mo:re
Labor von Mo:re

Roboter ersetzt die Hand des Menschen

„Unser Geschäftsmodell ist ethischer, aussagekräftiger und wirtschaftlicher“, ist Gaats überzeugt. Die standardisierte Organentwicklung durch den Roboter führe zu präzisen Ergebnissen. „Der Roboter ersetzt die Hand des Menschen. Zum einen arbeitet ein Roboter deutlich schneller und akkurater als Menschen es können. Zum anderen wollen wir die Forscher:innen entlasten. Es kann doch nicht sein, dass exzellent ausgebildete Menschen stundenlang Flüssigkeiten von A nach B bewegen.“ Und das Verfahren sei noch aus einem weiteren Grund schneller: „Mäuse müssen wachsen und die jeweils benötigten Krankheitsbilder entwickeln. Unsere Mini-Organe brauchen zwei Wochen, bis sie einsatzbereit sind.“ Die Dauer variiere allerdings je nach Organ, ein Gehirn brauche 100 Tage. „Wobei wir nicht das gesamte Gehirn bauen, sondern die jeweils relevanten Teilabschnitte, in denen sich die Krankheit andockt.“

Die längere Wartezeit lohnt sich, erklärt Gaats. „Der menschliche Körper schützt das Gehirn durch eine Art Blut-Hirn-Schranke vor Giftstoffen, doch die wirkt auch gegenüber Medikamenten – was die Zuverlässigkeit von Studien mit Probanden reduziert. Unsere Mini-Gehirne haben diese Schranke nicht“, betont Gaats, der an der Technischen Universität Hamburg (TUHH) neben seinem Master in Mediziningenieurwesen auch seinen MBA am NIT (Northern Institute of Technology Management) der Universität machte. Dort lernte er auch Co-Gründer David Hackenberger kennen. „David ist als Automatisierungsingenieur für die Roboter zuständig und wird dabei von Philipp Depperschmidt unterstützt, der ebenfalls an der TUHH studiert hat. Unser Startup ist eine klassische Ausgründung.“

Mo:re-Team: Philipp Depperschmidt, David Hackenberger, Júlia Vallverdú Ginès und Lukas Gaats
Mo:re-Team: Philipp Depperschmidt, David Hackenberger, Júlia Vallverdú Ginès und Lukas Gaats

Die Vision: Tierversuche überflüssig machen

Entscheidend für die Gründung war Gaats Forschungsjahr in Australien. „Ich war Forschungsassistent von Prof. Dietmar Hutmacher an der Queensland University of Technology und bei der Forschung an Mini-Organen haben wir das kommerzielle Potenzial automatisierter Zellkulturen erkannt.“ Zurück in Hamburg bewarb sich Mo:re mithilfe des Startup Docks der TUHH erfolgreich um die Exist-Gründungsförderung und das Team wuchs. So übernimmt inzwischen Júlia Vallverdú Ginès, eine promovierte Biologin, die Auswahl und Zusammenstellung der Zellen. Und das junge Unternehmen ist in die Startup Labs Bahrenfeld gezogen, dem gemeinsamen Innovationszentrum vom Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY), der Stadt Hamburg und der Universität Hamburg in der Science City Hamburg-Bahrenfeld. „Hier profitieren wir von einer hochmodernen Ausstattung, haben Zugriff auf Labore und Werkstätten und arbeiten in einem motivierendem Umfeld mit engagierten Menschen. Das ist ein einzigartiges Angebot für ein Startup in der Frühphase, betont Gaats. Und was ist sein Aufgabenfeld? „Ich stehe für die Vision des Unternehmens: Tierversuche überflüssig zu machen – und bin für den kaufmännischen Bereich zuständig. Ich spreche mit den Kunden und Investoren.“

Interesse für Thematik nimmt stark zu

Und das genau zur richtigen Zeit. Auf EU-Ebene wird gerade an einer Reform der Pharma-Gesetzgebung gearbeitet, auch um die Forschungsaktivitäten in Europa zu erhöhen. Die Auswirkungen werden zunehmend spürbar, stellt Gaats fest. „Ich bin seit anderthalb Jahren auf Pharma-Kongressen unterwegs und merke, dass sowohl das Interesse als auch das Verständnis für die Thematik extrem gestiegen ist. Viele Unternehmen suchen jetzt nach einer Lösung, wie wir sie bieten.“ Doch es sind vor allem die USA, die für Mo:re als Zielmarkt im Fokus stehen. „Die USA sind Vorreiter in der Abschaffung von Tierversuchen und generell sehr offen gegenüber Innovationen. Aber natürlich ist auch der Europäische Markt für uns interessant. Ein französisches Unternehmen hat bereits einen unserer Roboter gekauft.“ Somit ist der erste Schritt zur Finanzierung über Umsatzerlöse getan. Darüber hinaus finanziert sich das Startup über das Inno-Ramp-Up-Programm der IFB Innovationsstarter GmbH, US-Investoren und Business Angels. „Aktuell befinden wir uns in einer weiteren Seed-Runde“, so Gaats. Wenn alles klappt, ist er seinem Ziel wieder einen Schritt näher: „Bis 2035 Tierversuche überflüssig zu machen. Ab diesem Jahr sollen in der USA Tierversuche verboten werden.“
ys/mm/sb

Sie interessieren sich für weitere spannende News und Informationen aus dem Hamburger Startup-Ökosystem? Auf unserem Partnerportal Startup City Hamburg gibt es darüber hinaus eine umfassende Übersicht über alle Förderangebote und Services.

 

Quellen und weitere Informationen

Ähnliche Artikel

Quantencomputing: 3 vielversprechende Anwendungsfelder

Wo stehen wir auf dem Weg zum technologischen Durchbruch? Ein Gespräch mit Dr. Robert Axmann, Leiter der DLR Quantencomputing-Initiative

Evotec: 1,7 Millionen US-Dollar für Therapien gegen Henipaviren

Hamburger Unternehmen verfolgt mit der Förderung von Open Philantropy einen innovativen RNA-Ansatz zur Pandemiebewältigung

DESY-Besuchszentrum soll Spitzenforschung verständlich näherbringen

Science City Bahrenfeld: Grundstein für das Besuchszentrum DESYUM gelegt. Gebäude soll durch Abwärme aus Teilchenbeschleunigern geheizt werden

EU fördert UKE-Projekte: 3D-Druck von Medikamenten und Implantaten

Wissenschaftler*innen erproben am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf 3D-Druck von Arzneimitteln und Implantaten – mithilfe von KI
Die von uns eingesetzte Consent Management Plattform (https://app.usercentrics.eu/) konnte nicht geladen werden. Dies kann passieren, wenn AdBlocker diese URL fälschlicherweise blockieren. Einige Funktionen, wie z.B. Kartendarstellungen, Umkreissuchen oder Formulare, können so nicht verwendet werden. Um diese Funktionen benutzen zu können, deaktivieren Sie bitte Ihren AdBlocker oder erlauben Sie den Zugriff auf *.usercentrics.eu.