Spätestens, als bei der Eröffnung der diesjährigen NWX im Großen Saal der Elbphilharmonie zum gemeinsamen Singen angestimmt wurde, war die Montagsmüdigkeit passé. Im Anschluss stellte Philosoph und Bestsellerautor Richard David Precht in seiner Keynote fest, dass wir das Ende der Arbeit erleben, wie wir sie kannten. „Wir entwickeln uns von der Arbeits- zur Sinngesellschaft. Früher war es nur dem Adel vorbehalten, das zu tun, was er wirklich will.“ Heute dürfe das jeder. Das Coronavirus habe viele althergebrachte Einstellungen zu Beruf und Karriere nachhaltig auf den Kopf gestellt. Precht fordert deshalb: „Jeder Mensch hat das Recht auf einen Purpose.“ Zugleich gab er jedoch zu bedenken, dass unser heutiges Rentensystem nicht zur New-Work-Bewegung passe, da dieses weiterhin auf einer klassischen Erwerbsgesellschaft beruhe.
Die Corona-Pandemie hat vieles verändert. So auch die Arbeitswelt: Zu Beginn des Jahres dachten in Deutschland vier von zehn Erwerbstätigen über einen Jobwechsel nach. Bei den 30- bis 39-Jährigen war es sogar jeder zweite Arbeitnehmende, so eine repräsentative Studie, die im Auftrag von Xing E-Recruiting durchgeführt wurde. Nach pandemiebedingter Pause war es am Montag (20. Juni) wieder soweit: Auf der New Work Experience (NWX) in der Elbphilharmonie kamen rund 2.000 Gäste aus der DACH-Region zusammen, um die Arbeitswelt von heute und morgenzu diskutieren. Veranstaltet von der Hamburger New Work SE, Betreiberin des Businessnetzwerks Xing, gilt die NWX als führendes Event für die Zukunft der Arbeit. Über 100 Speaker:innen boten auf mehr als 10 Bühnen rund 14 Stunden Programm rund um das Thema Unternehmenskultur. Die Hamburg News waren dabei.
NWX 2022 – von der Arbeits- zur Sinngesellschaft
Purpose: Wird zuviel Unsinn mit dem Sinn getrieben?
Doch was ist eigentlich dieser Purpose? Und: Steckt zuviel Unsinn im Sinn? Mit dem Wert von Purpose, also einer sinnvollen Arbeit, beschäftigte sich eine Diskussionsrunde – beteiligt waren Petra von Strombeck, CEO der New Work SE, Petra Scharner-Wolff, Konzern-Vorständin der Otto Group und Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Ingo Hamm. Im Gespräch betonte von Strombeck, dass sie den Purpose ihres Unternehmens als Motivation, aber auch als Orientierung, gewissermaßen sogar als „Leitstern“ sehe. „Jede:r einzelne Mitarbeiter:in brauche eine sinnvolle Aufgabe“, ist die Vorstandsvorsitzende der New Work SE überzeugt. Es gehe darum, Menschen zu gewinnen, die das gleiche Mindset haben.
Kulturwandel darf nicht nur Chichi sein
Für Scharner-Wolff, seit 2012 als Otto-Konzern-Vorständin Finanzen, Controlling, Personal tätig, sei der Begriff Purpose „das Ergebnis eines Prozesses“. Der sogenannte Kulturwandel 4.0 werde bereits seit sechs Jahren im Familienunternehmen vorangetrieben. Deshalb müsse der Purpose „handfest sein und jeden Tag gelebt werden“. Dazu gehöre es jedoch auch, dass dieser kritisch von den Mitarbeitenden hinterfragt werden darf. Bei Otto sei der Kulturwandel „nicht nur Chichi“, sondern „der Umsatz von morgen“, betonte sie.
Wirtschaftspsychologe plädiert für Widerspruchskultur
Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Ingo Hamm ist hingegen überzeugt, dass es nicht DEN einen Purpose gibt. Vielmehr unterscheidet er zwischen einem moralischen und einem individuellen, also den Mitarbeitenden betreffenden, Purpose. Im Zuge dessen apelliert er: „Wir brauchen nicht nur eine Fehlerkultur, sondern auch eine Widerspruchskultur.“ Mitarbeiter:innen sollten sich trauen, moralischen Werten im Unternehmen zu widersprechen, wenn sie nicht zu ihnen passen. In einer Sache waren sich die drei Diskussionsteilnehmer:innen einig: „Tut, was ihr wirklich, wirklich tun wollt.“ So hatte es damals schon Dr. Frithjof Bergmann, der als Begründer der New-Work-Bewegung gilt, ausgedrückt.
Mit Mikropausen zu mehr Selbstwirksamkeit – und mentaler Gesundheit
Um den Zusammenhang von Arbeit und Gesundheit ging es im Panel von Dr. Bernd Hufnagel, einem der weltweit führenden Neurologen. Stresssymptome, Aufmerksamkeitsstörungen und psychische Erkrankungen nehmen in der Arbeitswelt zu, Belastbarkeit und Motivation der Beschäftigten häufig ab. Durch unsere (digitale) Dauerbeschäftigung werden unsere Tage häufig zu einer endlosen To-do-Liste, weiß der Österreicher. Auch Arbeiten, die uns auferlegt werden, ohne, dass wir den Sinn dahinter begreifen, seien problematisch. Sie behindern unsere Selbstwirksamkeit, also das Gefühl, sein Leben selbst beeinflussen und steuern können. Mikropausen könnten uns helfen, diese wiederzuerlangen, ist Hufnagel überzeugt. Sein Tipp für einen Perspektivwechsel: „Tragen Sie sich einen Termin ein. Fünf Minuten am Tag einfach hinsetzen und nichts tun. Lassen Sie die Gedanken vorbeiziehen und bekommen Sie ein wenig Abstand von allem.“ Mit dieser kleinen Übung könne sogar die berühmt-berüchtigte Betriebsblindheit im Alltag verhindert werden.
Buddhismus trifft auf New Work
Einen Schritt weiter ging Shi Heng Yi in seiner Keynote. Der leitende Meister des Shaolin Temple Europe ging auf die Bedeutung der buddhistischen Philosophie für den Menschen in der modernen Arbeitswelt ein: „Für Entspannung braucht es auch Anspannung. Es geht um Disziplin, genauso wie um Achtsamkeit, für andere, für sich und seinen Körper.“ Man müsse in seinem Leben entscheiden: „Entweder bist du Meister oder Sklave deiner Gedanken.“ Dies sei ein wichtiger Glaubenssatz in der buddhistischen Tradition. Dies gelte auch für die moderne Arbeitswelt, so der Shaolin-Mönch, der auch für seine TED-Talks bekannt ist. Auch wenn das Datum für die nächste NWX noch nicht feststeht, sind die Gedanken der Organisator:innen sicherlich schon bei der nächsten Ausgabe der New Work Experience.
sb/kk
Quellen und weitere Informationen
New Work SE
Gegründet als Business-Netzwerk openBC von Lars Hinrichs, erfolgte 2006 die Umbenennung in Xing und 2019 in New Work SE. Das Unternehmen ist seit 2006 börsennotiert. Die New Work SE hat ihren Hauptsitz in Hamburg und beschäftigt insgesamt rund 1.900 Mitarbeiter:innen. Weitere Standorte befinden sich unter anderem in München, Wien und Porto.